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planung&analyse (6/2017): Jin Jlussi mit Anekdoten aus der internationalen Feldarbeit

„Damit die Ziege nicht meine Wäsche frisst“

Internationale Marktforschung birgt Herausforderungen. Kulturelle Eigenheiten müssen erkannt und in allen Phasen der Forschung berücksichtigt werden. Das gilt auch für die Rekrutierung von Teilnehmern. Jin Jlussi vom Spiegel Institut Mannheim zeigt, wo Fallstricke lauern.

Der Erfolg internationaler Marktforschung hängt häufig stark vom interkulturellen Gespür des Projektleiters ab, besonders bei der Felddienstleistung und Teilnehmergewinnung. Will er beispielsweise herausfinden, was ein gutes Waschmittel ausmacht, sollte er sicherstellen, dass die Teilnehmer seiner Studie sich in der Fragestellung wiederfinden. Denn je nach Land haben Konsumenten sehr unterschiedliche Vorstellungen von einem guten Waschmittel.

In Deutschland etwa ist vielen Verbrauchern wichtig, dass ihre weiße Wäsche keinen Grauschleier bekommt. In Südafrika oder Brasilien dagegen befürchtet so mancher, die Hausziege könne sich an der zum Trocknen aufgehängten Kleidung zu schaffen machen. Und in China dürfen Socken nicht zusammen mit der Unterwäsche gewaschen werden, denn das gilt als unhygienisch. Solche Kulturspezifika sollten vor der methodischen Vorbereitung definiert werden und in allen Phasen der Marktforschung Beachtung finden.

Als internationales, in über 80 Ländern tätiges Institut beschäftigen wir uns täglich mit kulturellen Besonderheiten. Wir führen mehr als 90 Prozent unserer Studien im Ausland durch. Unsere Kunden sind international tätig oder haben ihren Unternehmenssitz im Ausland. Es passiert nicht selten, dass Screening- Kriterien, Zielgruppendefinitionen oder Fragebogen länderübergreifend eingesetzt werden sollen.

Um Studienteilnehmer zu gewinnen, ist es besonders wichtig, kulturelle Besonderheiten im Vorfeld zu erkennen und die Projektmitarbeiter zu sensibilisieren. Hier reicht es nicht aus, nur über grundlegende Kenntnisse des jeweiligen Marktes zu verfügen wie etwa die einheimische Währung oder das übliche Längenmaß.

Ein Beispiel ist das Einkommen. Menschen in China geben darüber ebenso wie die Deutschen nicht gerne Auskunft. Bei manchen Studien stellt das Einkommen allerdings eine Quote dar, weil eine gewisse Kaufkraft vorausgesetzt werden muss. In Deutschland können wir das Problem meist mit mehreren Einkommensstufen lösen, aus denen der Proband seinen Einkommensbereich auswählt. In China allerdings muss man sich zusätzlich mit weiteren Screening- Fragen absichern. So fragen wir die Probanden, wo sie leben, wie sie leben und was ihre bevorzugten Marken sind. Auf diese Weise können wir ihren Lebensstandard einschätzen und daraus auf ihr Einkommen schließen.

In Ländern, in denen sich die nationale Identität aus einem Mix an verschiedenen Ethnien, Sprachen und Gebräuchen zusammensetzt, multiplizieren sich die Kulturspezifika. Projektleiter müssen daher besonders sensibel sein, vor allem, wenn ein repräsentatives Sample vom Kunden erwartet wird.

So hat Südafrika allein elf offizielle Sprachen. In Südamerika können sich die Dialekte des Spanischen stark unterscheiden und ein Wort je nach Region verschiedene Bedeutungen haben. In Ländern, in denen Englisch keine offizielle Landessprache ist, kann es schwer sein, Teilnehmer mit ausreichenden Englischkenntnissen zu finden. Manche Regionen der Erde, wie etwa der Regenwald, sind für Marktforscher schwer oder gar nicht zugänglich. Auch bei indigenen Völkern müssen Besonderheiten berücksichtigt werden.

In Guyana beispielsweise ist zwar Englisch die Landessprache. Die Erstellung des Erhebungsmaterials und die Studienplanung werden aber durch weitere Faktoren beeinflusst wie Unterschiede in der Bildung und soziale Unterschiede, verschiedene Gebräuche oder Vorstellungen von Etikette.

Auch spielt eine Rolle, ob der Teilnehmer in der Stadt oder auf dem Land wohnt. Hinzu kommen Probleme wie Analphabetismus oder fehlende Computerkenntnisse. Außerdem können demografische Fragen in manchen Regionen oder für bestimmte Bevölkerungsgruppen zu einer Stigmatisierung führen. Das kann zum Beispiel die Frage nach der ethnischen Zugehörigkeit oder dem Bildungsstand der Probanden sein.

Bei der Rekrutierungsarbeit in Deutschland stellen wir fest, dass es große Unterschiede in der Teilnehmergewinnung gibt und wir verschiedene Zielgruppen über unterschiedliche Kanäle kontaktieren müssen. Erfahrungsgemäß erreichen wir per E-Mail die meisten Probanden. Ältere Menschen bevorzugen allerdings zusätzlich telefonischen Kontakt und eine Einladung per Post. Unsere Kollegen in China rekrutieren dagegen am effektivsten über die App WeChat.

Das liegt auch an einer Nachfrageverschiebung hin zur Generation Z als Hauptkonsumenten am chinesischen Markt. Unsere Partner in romanischsprachigen Ländern vereinbaren Termine nach Möglichkeit kurzfristig. In Deutschland dagegen möchten Probanden lieber längerfristig und verbindlich planen.

Für eine erfolgreiche internationale Marktforschung ist die Auseinandersetzung mit dem Zielmarkt mithin unabdingbar. Bestenfalls sollte sie an ein nachhaltiges Risikomanagement gekoppelt werden, damit Marktforscher für alle Fälle gut gerüstet sind.

 

(Bildquelle: iStock.com/maki_shmaki)

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